Die erfolgreiche Implementierung von Telemedizininitiativen kann auch durch Aktivitäten der Gemeinschaft (als Instanz zwischen den individuellen Endnutzern und den existierenden Rahmenbedingungen) beeinflusst werden. Das Reifegradmodell für Telemedizin in Gemeinschaften setzt genau dort an und stellt ein Werkzeug zur Verfügung, das Verbesserungspotentiale identifiziert, welche eine langfristig erfolgreiche Telemedizinanwendung in Gemeinschaften unterstützt.
Abstract
The successful implementation of telemedicine initiatives can also be influenced by community activities (as a link between individual end-users and the existing framing conditions). The Telemedicine Community Readiness Model addresses exactly this issue and provides a tool that identifies potential for improvement, which supports a successful long-term telemedicine application in communities.
Das Reifegradmodell (Telemedicine Community Readiness Model) hilft, die aktuellen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Telemedizinimplementierung in Gemeinschaften zu bestimmen. Gemeinschaften können dabei örtlich verbunden sein (bspw. Regionen oder Gesundheitsnetzwerke) oder über ein gemeinsames Interesse (bspw. eine gemeinsame Krankheit) verfügen.
Telemedizin ist anhand von drei Merkmalen definiert. Es beschreibt i) die medizinische Versorgung von PatientInnen durch LeistungserbringerInnen ii) über eine Distanz hinweg iii) durch die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie. Nur wenn alle drei Merkmale erfüllt sind, handelt es sich um Telemedizin. Die Grundlage des TCRMs bilden literaturgestützt-erhobene Barrieren und Erfolgsfaktoren für Telemedizin sowie wissenschaftliche Erkenntnisse zum Einfluss von Gemeinschaften und zu existierenden Reifegradmodellen .
Anhand von drei Dimensionen kann der Status quo auf sechs Leveln bestimmt werden (s. Abbildung). Zur Einschätzung des Status quo sind der Status der vorhandenen Telemedizininitiativen relevant, wie viele Mitglieder der Gemeinschaft involviert sind und welche Evidenz bereits generiert wurde.
Abhängig davon, auf welchem Level sich die Gemeinschaft aktuell befindet, gibt es Maßnahmen, die dabei helfen können, den Einsatz von Telemedizininitiativen langfristig zu erhöhen. Damit sollen sich die Vorteile von Telemedizin voll entfalten. Alle Verbesserungsmaßnahmen finden sich unten aufgelistet nach den einzelnen Leveln.
Level 1
Verbesserungsaspekt
Beschreibung
Die grundlegenden technischen und infrastrukturellen Anforderungen sind den Planenden von Telemedizininitiativen bekannt
Alle technischen und infrastrukturellen Anforderungen von Anfang an zu kennen, ist schwierig. Zunächst ist es jedoch wichtiger, die grundlegenden Anforderungen zu kennen, die notwendig sind, um Telemedizininitiativen implementieren zu können (z.B. Internet und/oder Telefonleitung)
Einbindung von AkteurInnen (EntscheidungsträgerInnen, NutzerInnen, etc.) in die Entwicklung von Telemedizininitiativen
Nutzerzentrierte Entwicklungsprozesse sollten potentielle NutzerInnen inkludieren - in diesem Fall PatientInnen, BürgerInnen, LeistungserbringerInnen, etc.
Grundlegende Hard- und/oder Software, die notwendig für die Bereitstellung von Telemedizinservices ist, wird zur Verfügung gestellt (z.B. Internet, iPads oder SIM-Karten)
Festlegung einer ganzheitlichen Zielsetzung hinsichtlich Telemedizin in der Gemeinschaft
Eine Vision für Telemedizin in der Gemeinschaft sollte alle AkteurInnen und Bereiche der Gemeinschaft umfassen
Einhaltung regulatorischer Anforderungen
Alle regulatorischen Anforderungen müssen klar sein und befolgt werden (bspw. hinsichtlich Gesetzgebung oder Haftung)
Einhaltung ethischer Richtlinien auch bezogen auf Telemedizin
Richtlinien für Ethik und Governance existieren, sind bekannt und werden eingehalten
Sicherstellung von Risikomanagement
Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß müssen für mögliche Risiken bekannt sein und adäquat adressiert werden
Sicherstellung der schriftlichen Form bei vertraglichen Vereinbarungen
Alle Absprachen werden dokumentiert, um Entscheidungen nachverfolgen zu können
Level 2
Verbesserungsaspekt
Beschreibung
Bereitstellung von Informationskampagnen über die Existenz von Telemedizininitiativen
NutzerInnen müssen über die Existenz von Telemedizininitiativen aufgeklärt sein, sonst können sie diese nicht nutzen
Festlegung eines Schritt-für-Schritt Plans für die Implementierung von Telemedizin in der Gemeinschaft
Kontinuierliche Operationalisierung der ganzheitlichen Zielsetzung, inklusive der Definition von Prozessen, Verantwortlichkeiten und Personal
Festlegung von Anforderungen, Zielen und erwarteten Ergebnissen von Telemedizin in der Gemeinschaft
Die Erwartungen an die Implementierung von Telemedizininitiativen in der Gemeinschaft sind definiert und im Einklang mit den Gemeinschaftszielen und dem Implementierungsplan
Festlegung klar definierter hierarchischer Strukturen, die für Telemedizinanforderungen angewandt werden können
Dies ist die Vorbedingung für die Zuteilung von Verantwortlichkeiten, damit Veränderung möglich gemacht werden kann; die Strukturen sollten möglichst schriftlich festgehalten werden
Sicherstellung eines für alle AkteurInnen transparenten Informationsmanagements
Bereitstellung ausreichender Informationen, um Sorgen und Ängste aktiv zu adressieren
Angleichung der Richtlinien der Gemeinschaft hinsichtlich Governance an die Werte der Gemeinschaft bzw. das Gemeinschaftsklima
Hierarchische Entscheidungsfindung ist möglich, um fehlenden Konsens und Konfliktpotential zu vermeiden; wenn Werte der Gemeinschaft verletzt werden, entstehen parallele Strukturen, welche Effizienz verhindern und zu Renitenz führen können
Level 3
Verbesserungsaspekt
Beschreibung
Bereitstellung von Informationskampagnen über die Existenz von Telemedizin, welche auch das Umfeld der NutzerInnen als Zielgruppe haben
Die NutzerInnen von Telemedizininitiativen schätzen oft die Meinung und das Urteil von ihnen nahestehenden Personen
Bereitstellung eines Forums für Kommunikation, (gruppeninterne und -übergreifende) Kooperation, Datenmanagement, und Vertrauensbildung zwischen AkteurInnen, die voneinander abhängig sind
Kooperation zwischen den involvierten AkteurInnen wird direkt unterstützt und für alle transparent gemacht (gemäß des Gemeinschaftsklimas und den Überzeugungen in der Gemeinschaft)
Bereitstellung finanzieller Ressourcen durch die Gemeinschaft
Der Fokus liegt explizit auf Ressourcen der Gemeinschaft selbst
Festlegung einer verantwortlichen Person oder Personengruppe als Telemedizin-Verantwortliche, welche die notwendige Autorität haben
Basierend auf existierenden hierarchischen Strukturen gibt es klar abgegrenzte Entscheidungskompetenzen; diese sollten möglichst bei bereits vorhandenen Personen/Positionen angesiedelt sein, um Parallelstrukturen zu vermeiden und Wissen/Kompetenz zu bündeln
Level 4
Verbesserungsaspekt
Beschreibung
Alle technischen und infrastrukturellen Anforderungen sind den Planenden von Telemedizininitiativen bekannt
Alle Anforderungen sollten bekannt sein, damit die bestmöglichen Telemedizininitiativen bereitgestellt werden können
Bereitstellung von Informationskampagnen über die Vorteile von Telemedizin (basierend auf Wirksamkeitsstudien)
Informationen ausschließlich über die Existenz von Telemedizin sind nicht genug für eine langfristige Nutzung von Telemedizininitiativen. Auch deren Vorteile sollten frühstmöglich gezeigt und kommuniziert werden
Bereitstellung personeller Ressourcen durch die Gemeinschaft
Der Fokus liegt explizit auf Ressourcen der Gemeinschaft selbst
Festlegung einer Strategie für nachhaltige Skalierung
Die vorhandene Vision für Telemedizin in der Gemeinschaft wird verbunden mit einer realistischen Implementierungsstrategie
Einhaltung kulturell angemessener Kommunikation, sodass alle potentiellen EndnutzerInnen gleichwertig erreicht werden
Sicherstellung von gleichwertigem Zugang Aller durch Inklusion potentieller NutzerInnen und eine unterstützende Atmosphäre in der Gemeinschaft
Level 5
Verbesserungsaspekt
Beschreibung
Bereitstellung von Programmen zur Verringerung bestehender Ungleichheiten und zur Erhöhung der (Gesundheits-/Digital-) Kompetenz
Im Sinne der Inklusion sollte ein einheitlicher Zugang zur Nutzung der vorhandenen Telemedizininitiativen für alle Mitglieder der Gemeinschaft sichergestellt werden; unterschiedliche Kompetenzlevel können durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden (z.B. Bildung, sozioökonomische Faktoren, Demographie, Gesundheits- oder Beschäftigungsstatus)
Bereitstellung von Trainings und Qualifizierungsmaßnahmen für alle involvierten AkteurInnen
Ziel sind die Steigerung der Kompetenzen, der Fähigkeiten und der Sicherheit im Umgang mit Telemedizin und die Verbesserung der (Gesundheits-/Digital-) Kompetenz für alle AkteurInnen
Sicherstellung eines kontinuierlichen Verbesserungs-/ Leistungsmanagements (inkl. unterstützender Richtlinien)
Die Telemedizininitiativen sollten nicht sich selbst überlassen werden. Sobald die Initiativen erfolgreich implementiert sind, müssen einheitliche Regeln in der Gemeinschaft existieren, wie mit den Initiativen weiter verfahren wird. Die Einhaltung der Regeln muss regelmäßig überprüft werden
Level 6
Verbesserungsaspekt
Beschreibung
Bereitstellung struktureller Programme, die eine ausreichende Anzahl an MitarbeiterInnen im Bereich Telemedizin gewährleisten. Die MitarbeiterInnen sind nicht nur verfügbar, sondern auch mit den notwendigen Kompetenzen und Kenntnissen ausgestattet
Es existieren Programme, die zur Entwicklung gut ausgebildeten Personals beitragen, damit langfristig die Nutzung von Telemedizininitiativen unterstützt wird
Sicherstellung von Interoperabilität zwischen den Telemedizininitiativen und der weiteren existierenden IT-Infrastruktur
Die Telemedizininitiativen sind keine isolierten Lösungen, die zugunsten einer allumfassenden Plattform mit verschiedenen Möglichkeiten vernachlässigt werden würden
Broens, T. H. F., Huis in’t Veld, R. M. H. A., Vollenbroek-Hutten, M. M. R., Hermens, H. J., van Halteren, A. T., & Nieuwenhuis, L. J. M. (2007). Determinants of successful telemedicine implementations: a literature study. Journal of Telemedicine and Telecare, 13(6), 303–309. https://doi.org/10.1258/135763307781644951
Plested, B. A., Edwards, R. W., & Jumper-Thurman, P. (2006). Community Readiness: A Handbook for Successful Change. Tri-Ethnic Center for Prevention Research.