Ein Sturz in der eigenen Wohnung im hohen Alter – danach kreisen die Gedanken: „Was nun? Ist meine Wohnung noch ein sicheres Umfeld für mich?“
Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit körperlicher Einschränkungen und somit der Bedarf an Unterstützung im Wohnalltag. Zunächst wird diese Unterstützung üblicherweise durch die Familie als informelle Pflege geleistet . Aufgrund der damit einhergehenden hohen Belastung für die pflegenden Personen werden oft zusätzliche professionelle Leistungserbringer wie bspw. ambulanten Pflegedienste in das Pflegesetting integriert. Können diese Strukturen den Pflegebedarf jedoch nur noch unzureichend abdecken, müssen andere Formen des Wohnens in Erwägung gezogen werden. Der in diesen Fällen meist anstehende Umzug in ein Altersheim oder Einrichtungen des betreuten Wohnens ist für viele Senioren sowohl psychisch als auch körperlich belastend, da die vertraute Umgebung der eigenen vier Wände verlassen werden muss.
Als Folge und in Verbindung mit der demographischen Entwicklung steigt die Bedeutung des „Gesundheitsstandortes Wohnung“ zunehmend. Das gilt nicht nur für geriatrische PatientInnen, die bedingt durch ihr hohes Alter und mit Begleiterkrankungen einhergehenden Einschränkungen Unterstützung benötigen. Auch unabhängig vom Alter sind Menschen mit Krankheitseinschränkungen in ihrem gewohnten Wohnumfeld z. T. auf Unterstützung angewiesen. Ein Verbleib im eigenen Wohnumfeld kann jedoch auch unter diesen Umständen ermöglicht werden, indem z. B. durch Assistenzsysteme das Wohnumfeld auf den veränderten Unterstützungsbedarf vorbereitet wird .
Personalisierte technische Assistenzlösungen im Wohnbereich – ein Überblick
Aus technischer Sicht werden bei diesen Assistenzsystemen häufig die eng zusammenhängenden Bereiche „Smart Home“ und „Ambient Assisted Living (AAL)“ genannt. Eine scharfe begriffliche Trennung der Konzepte ist oft nicht möglich. Beide Bereiche beschreiben die technische Ausstattung von Wohnungen mit dem hauptsächlichen Zweck, Komfort und Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten. Smart Home fokussiert dabei mehr auf das Gebäudemanagement und dafür benötigte technische Wohnungsausstattung . AAL-Lösungen machen sich die mit Technik ausgerüstete Wohnungsausstattung hingegen zunutze, um alltägliche Lebensprozesse durch Technik zu unterstützen . Dabei wird das Ziel verfolgt, Personen möglichst lange eine hohe Lebensqualität im gewohnten Wohnumfeld zu ermöglichen – hier steht vor allem der Gesundheitsaspekt im Vordergrund.
Assistenzsysteme können auf verschiedene Art und Weise eine intelligente Unterstützung im Lebensalltag leisten. Ihre Haupteinsatzgebiete erstrecken sich von der Notfallerkennung und -alarmierung über Krankheitsmanagement (v. a. bei chronischen Erkrankungen) bis hin zur telemedizinischen Einbindung von Ärzten zur Einschätzung des Gesundheitszustands und medizinischen Beratung. Davon abgesehen unterstützen Assistenzsysteme auch nicht-gesundheitsbezogene Prozesse der sozialen Einbindung und allgemeine Dienstleistungen, die das tägliche Leben begleiten. Diese umfassen Angebote zu Bildung, Unterhaltung, Information und Wohlbefinden .
Entsprechend dieser breiten Palette an Einsatzmöglichkeiten weisen Assistenzsysteme eine große Vielfalt in ihren Ausprägungen auf – dazu gehören neben Systemen zur Erkennung von Gefahrensituationen und Alarmsystemen auch intelligente Wohnraumsteuerungen oder eine Integration externer Dienstleistungen, um bspw. Pflegedienste bei der Leistungserbringung zu unterstützen. Je nach Anforderungen der Bewohner kann der Leistungsumfang von Assistenzsystemen sehr unterschiedlich ausfallen. Da die Wünsche und Lebenswelten der Menschen mit Pflegebedürftigkeit sehr heterogen sind , ist ein wichtiger Aspekt bei der Gestaltung von Assistenzsystemen, diese individuell auf die Bedarfe und Bedürfnisse der Nutzer anzupassen .
Assistenzsysteme haben somit das Potential, einen längeren Verbleib in der häuslichen Umgebung zu ermöglichen . Dieses Potential wird durch die folgenden Beispiele in konkreten Settings dargestellt, um auch die Verknüpfungen der einzelnen Teilsysteme und Synergiepotentiale zu fokussieren. Dabei sind die einzelnen Teilkomponenten der Beispielsysteme mitsamt den Informationsflüssen zwischen ihnen grafisch dargestellt.
Beispiel „Automatische Sturzerkennung im geriatrischen Setting“
Nimmt im Alter die Gebrechlichkeit zu, steigt das Risiko von Stürzen und Verletzungen. Eine der zentralen Herausforderungen in der Versorgung geriatrischer Patienten ist es, Sturzrisiken zu vermeiden und im Falle eines Sturzes zügig Hilfe verständigen zu können. Manuell auszulösende Notrufsysteme werden in über 30% der Pflegehaushalte eingesetzt und stellen damit ein klassisches Unterstützungssystem dar.
Allerdings besteht die Gefahr, dass die betroffene Person im Notfall durch Bewegungsunfähigkeit oder Bewusstlosigkeit nicht in der Lage ist, eigenständig Hilfe zu verständigen. Um einen Umzug in eine Pflegeeinrichtung zu vermeiden, kann eine automatische Sturzerkennung mit angeschlossener Notrufauslösung eingesetzt werden, die fähig ist, auch willensunabhängig eine kaskadierte Notrufkette in Gang zu setzen . Im Notfall kann so nacheinander versucht werden, durch Angehörige, Nachbarn, Pflegedienste und letztlich Rettungsdienste Hilfe zu verständigen. Stürze werden dabei durch unterschiedliche Sensoren und Assistenzsysteme erkannt – im Beispiel in Abbildung 1 sind ein Notrufknopf (am Handgelenk getragen), eine Sensormatte vor dem Bett und ein Bewegungsmelder im Wohnzimmer installiert und mit der Sturzerkennung verknüpft.
Beispiel „Moderne Alltagsunterstützung und Einbindung von externen Dienstleistungen“
Für eine umfassendere Alltagsassistenz können verschiedenste Systeme unterschiedlicher Bereiche in der Wohnung installiert und miteinander verknüpft werden. Es entstehen schnell hochgradig vernetzte Systemkomponenten, die gut aufeinander abgestimmt sein müssen.
Das zentrale Assistenzkonzept dieses Beispiels ist ein Day-Time-Manager (vgl. Abbildung 2) , welcher als Terminplaner und -erinnerung fungiert, entsprechende Eintragungen für die Medikamenteneinnahme enthält, Zeiten für Übungen zum Gedächtnistraining vorhält und die Besuche der Pflegedienste koordinieren kann. An dieser Stelle fließen die Bereiche der externen Dienstleistungen und der Telemedizin zusammen:
Werden Dienstleistungen wie bspw. Pflege- oder Versorgungsdienste in Anspruch genommen, so kann für beide Seiten die Abwicklung erleichtert werden, indem ein intelligentes Türschloss mit der Möglichkeit für temporäre Zugangsberechtigungen genutzt wird. Dadurch ermöglicht es dem Pflegedienst Zutritt zur Wohnung. Durch eine Benachrichtigung auf die Augmented-Reality-fähige Brille des Bewohners wird dieser über das Eintreffen des Pflegedienstes informiert und an seinen anstehenden Termin erinnert. Ähnlich können auch weitere externe Services wie bspw. ein Essenslieferant wie „Essen auf Rädern“ integriert werden.
Zum anderen könnte der behandelnde Arzt per Telemonitoring die Vitaldaten seines Patienten abgreifen (z. B. bei Bluthochdruck und Diabetes), gegebenenfalls mit diesem Rücksprache halten und bei Bedarf die Medikationsdosis anpassen. Im Day-Time-Manager führt dies zu einer Umplanung der Medikamenteneinnahme.
Herausforderungen für die Planung von Assistenzsystemen
Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass die Verbindung von Assistenzsystemen mit weiteren Kommunikations- und Automationssystemen nützlich und sinnvoll ist, um vollumfänglich geplante Funktionen erbringen zu können. Die Bereiche Smart Home und AAL haben dementsprechend sowohl Berührungspunkte zueinander als auch zu weiteren Thematiken wie bspw. eHealth. Damit werden diese „Health Smart Homes“ als Kernpunkt angesehen, um Menschen mit Unterstützungsbedarf die Chance zu eröffnen, länger in dem eigenen Wohnumfeld zu verbleiben .
Aufgrund des umfassenden Einsatzzweckes und der großen Spannbreite möglicher individueller Assistenzwünsche zeichnen sich Assistenzsysteme und -konzepte durch eine hohe Vielfalt aus. Berücksichtigt man dazu den Individualisierungsanspruch, den jedes Assistenzsystem erfüllen muss um spezifisch auf die Bedürfnisse der Nutzer einzugehen, wird die angemessene Auswahl von Assistenzkomponenten ein komplexes Planungsproblem. Zudem muss durch die häufig eng miteinander interagierenden Komponenten auch ein besonderes Augenmerk auf die Passfähigkeit der Teilsysteme zueinander gelegt werden.
Diesen Herausforderungen Vielfalt, Individualisierungsanspruch und Passfähigkeit muss beigekommen werden, damit sich die technischen Möglichkeiten heute auch in bedarfsgerechte Assistenzsysteme der Zukunft überführen lassen. Die dabei zu beherrschende Planungskomplexität zieht zum einen die Notwendigkeit eines umfassenden Wissens über technische Assistenzsysteme nach sich. Zum anderen werden aber auch automatisierte Planungsansätze attraktiver und zunehmend notwendiger.
Im Rahmen von Care4Saxony wird durch Arbeitspaket 4 die Machbarkeit derartiger automatisierter Planungsansätze untersucht. Zwischenerkenntnisse werden u.a. in diesem ScienceBlog festgehalten.
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